Die meisten Modellbähnler kennen die Situation: Während einem «Tag der offenen Tür» mit vielen Zuschauern fährt auf Grund einer Unachtsamkeit eine Rangierfahrt seitlich in einen anderen Zug und mehrere Wagen kippen aus den Gleisen! Der Schaden ist meist schneller behoben wie bei unserem Vorbild, benötigt aber doch Zeit und Verrenkungen, um an die Unfallstelle zu gelangen.
Flankenschutz beim Vorbild
Beim Vorbild wird das Risiko für eine solche Flankenfahrt durch eine geeignete Massnahme, dem Flankenschutz, reduziert. Es wird zwischen dem verbotsbewirkten (bedingtem) und dem spurbewirkten (absoluten) Flankenschutz unterschieden. Zum verbotsbewirkten Flankenschutz zählt z.B. ein Zwergsignal, welches aufgrund der nicht vorhandenen Zustimmung eine Flankenfahrt verhindert. Beim spurbewirkten Flankenschutz wird durch Einrichtungen am Gleis verhindert, dass ein Zug oder ein Wagen in den zu schützenden Bereich einfahren kann (z.B. Schutzweiche).
Ohne Flankenschutz kann z.B. der Zug B seitlich mit dem Zug A kollidieren. Dieses Ereignis wird als Flankenfahrt bezeichnet.
Aufgrund der Gleistopologie und der Verknüpfung von Weiche W6 mit W7 im Stellwerk ist bei der Einfahrt von Zug A der Schutz spurbewirkt gegeben.
Erfordert die Risikoabschätzung einen spurbewirkten Flankenschutz, können folgende Arten zum Einsatz kommen:
Gleistopologie: Aufgrund der Anordnung von Weichen in der Gleisanlage und deren Verknüpfung im Stellwerk wird eine Flankenfahrt ausgeschlossen. So befinden bei einem Spurwechsel beide Weichen in ablenkender oder gerader Position. In gerader Position schützen die Weichen die Zugfahrten auf den parallelen Geleisen vor einer Flankenfahrt.
Schutz- oder Entgleisungsweiche: Kann der Flankenschutz nicht über die Gleistopologie erreicht werden, muss eine feindliche Zugfahrt durch Entgleisen verhindert werden. Dies kann beispielsweise durch eine Schutz- oder Entgleisungsweiche geschehen. Eine Schutzweiche ist eine vollständige Weiche, welche eine Zugfahrt im Schotter enden lässt. Eine Entgleisungsweiche weist nur Weichenzungen, aber kein Herzstück auf und lässt den Zug direkt entgleisen.
Entgleisungsvorrichtung: Ist das Risiko für eine Flankenfahrt kleiner wie in den zwei vorhergehenden beschriebenen Situationen und die Geschwindigkeit des Gleises auf maximal 80 km/h begrenzt, kann für den Flankenschutz auch eine Entgleisungsvorrichtung zum Einsatz kommen. Beim Überfahren einer geschlossenen Entgleisungsvorrichtung wird jeweils ein Rad einer Achse vom Auswerfer angehoben und über den Schienenkopf geleitet. Da dieser Vorgang nicht immer korrekt abläuft, insbesondere bei höheren Geschwindigkeiten und/oder bei Fahrzeugen mit mehreren starr verbundenen Achsen, ist diese Einrichtung nur unter den anfangs erwähnten Bedingungen zulässig.
Mit den erwähnten Massnahmen können Flankenfahrten von Rangierfahrten oder auch von entlaufenen Fahrzeugen verhindert werden. Sollen Flankenfahrten von Zugfahrten verhindert werden, kommen zusätzlich die Zugsicherungen Signum oder ZUB zur Anwendung.
Schutzweiche der Überholanlage Schneit bei Elgg. Die Zugfahrt des überholenden RABDe 500 029 ist vor einer Flankenfahrt des Postzuges mit der Re 421 374-0 geschützt.
Entgleisungsvorrichtungen unterschiedlicher Bauarten
Bei den SBB kommen meistens Entgleisungsvorrichtungen vom Hersteller Western-Cullen-Hayes aus den USA zum Einsatz (http://www.wch.com/wchderail.htm). Diese sogenannten «Sliding Derails» haben, wie es der Name sagt, keine Klappmechanik, sondern Kulissen mit einem darin gleitenden Auswerfer (Entgleisungsschuh). Spannende Details zu diesem Typ von Entgleisungsvorrichtung finden sich in der Bedienungsanleitung von Western-Cullen-Hayes: http://www.wch.com/pdf/sliding_derail.pdf. Der Bewegungsablauf des Auswerfers beim Vorbild und im Modell ist im Abschnitt «Entgleisungsvorrichtung im Massstab 1:87» dargestellt.
Bei Schmalspurbahnen, wie z.B. der RhB oder DFB, können häufig einfachere und leichtere Entgleisungsvorrichtungen mit Klappmechanismus beobachtet werden. In Schweden kommen die «Spårspärr» nicht nur zum Schutz vor feindlichen Zugfahrten zum Einsatz, sondern können auch eine Zugfahrt vor geöffneter Drehbrücke stoppen. Entgleisungsvorrichtungen schwedischer Bauart stehen weit über den Schienenkopf hinaus und sind von weitem sichtbar. Diese Bauart weist wiederum einen Klappmechanismus auf.
Schutzweichen und Entgleisungsweichen im Modell
Zur Nachbildung von Schutzweichen kommen handelsübliche Weichen zum Einsatz, welche über unsere Stellwerke korrekt angesteuert werden. Die Entgleisungsweiche entstand durch Abtrennen des Herzstücks einer gekauften Weiche. Eingebaut wurde der Rest der Weiche, also die Zunge und Stockschiene. Angetrieben werden alle Weichen und Entgleisungsweichen mit unseren Eigenbau-Weichenmotoren.
Entgleisungsvorrichtung im Massstab 1:87
Eine spannende Aufgabe war der Bau der Entgleisungsvorrichtung im Massstab 1:87 mit einem möglichst ähnlichen Bewegungsablauf wie beim Vorbild. Dort bewegt ein Weichenantrieb den Auswerfer quer zu Gleisachse. Durch Kulissen wird während dieser Linearbewegung der Auswerfer zuerst vom Schienenkopf angehoben, danach zurückgefahren und zuletzt zwischen den Geleisen abgesenkt, damit das Lichtraumprofil freigeben ist. Beim Schliessen läuft die beschriebene Bewegung in umgekehrter Reihenfolge ab.
Für das Modell wurde die Form der Kulisse vom Vorbild kopiert und den Gegebenheiten, wie z.B. Schienenhöhe oder Spurkranzbreite, angepasst. Aus Platzgründen fand der Mechanismus nicht zwischen den Schienen Platz, sondern musste unterflur angeordnet werden.
Ein erstes Funktionsmuster entstand mit einfachen Mitteln aus Messing, Laubsäge und Lötkolben. Nachdem die Funktionsweise überzeugte, erfolgte die Konstruktion für die Kleinstserie mit Hilfe eines CAD. Zur Anwendung kam dazu die Open-Source-Software FreeCAD (www.freecadweb.org). Bei der Konstruktion wurde darauf geachtet, dass möglichst viele Teile aus Blech (2 mm und 1,5 mm Dicke) im Laserschneid-Verfahren hergestellt werden konnten. Einige Teile entstanden in konventioneller Weise auf der Fräsmaschine aus Messing-Vierkantprofilen. Aufwändiger war die Herstellung des Auswerfers mit der speziellen Geometrie zum Anheben und Leiten des Rades. Aufgrund dieser Geometrie und der Anzahl Teile bot sich der 3D-Druck an. Die Teile wurden durch Pfister Feinguss (www.pfister-feinguss.ch) im Wachsausschmelzverfahren hergestellt. Bei diesem Verfahren werden zuerst die Wachsmodelle als Positiv im 3D-Druck produziert, daraus mit einer Einbettmasse das Negativ hergestellt und das Negativ schliesslich mit Messingbronze ausgegossen.
Für die Ansteuerung der Entgleisungsvorrichtung verwenden wir einen Linearschrittmotor und Arduino-Microkontroller. In der Stellwerklogik sind diese Antriebe als normale Weichen eingebunden und können über die Domino 67 Stellpulte respektive über den ILTIS-Arbeitsplatz angesteuert werden.
Betrieb
Die Schutzweichen, Entgleisungsweichen und Entgleisungsvorrichtungen bewähren sich auf unserer Modellbahnanlage und haben so schon manche Flankenfahrt verhindert. Für uns zählt aber auch, dass wir unsere Anlage mit spannenden Details bereichern konnten und diese im Bereich der Sicherheitseinrichtungen noch ein bisschen näher am Vorbild ist.